Zitate | Maria Farantouri | Henning Schmiedt | Volker Schlott | Jens Naumilkat
Maria Farantouri
Dem Leben der Blüten ähnelt das der Stimmen. Die Energie einer Stimme ist wie das einer Blüte abhängig von der Erde, die sie hervorbringt. Von verschiedensten Substanzen ernährt sie sich, die ihr zu Strahlkraft verhelfen. Und wie bei einer Blume, so spielt es auch bei einer Stimme keine unwesentliche Rolle, welcher Mensch sich ihrer annimmt, sie aufzieht und pflegt.
Blüten sind irdische Sterne und manche Stimmen wie Nektar. Bei aller Unbescheidenheit mag im Fall von Maria Farantouri tatsächlich zutreffen, was die Athener Imker behaupten: „Nirgendwo in Europa findet man so einen Honig wie bei uns, denn in Griechenland gibt es eine Vielfalt an Wildblumen wie sonst nirgends.“
Wenn Maria singt, mag man für einen langen Augenblick alle anderen Stimmen vergessen. Dann erlebt man jene Momente, da man sich nur auf eins konzentriert, weil es kaum anders möglich ist, und es widerfährt einem etwas Einmaliges. Wenn Maria singt, wird man sich nach Griechenland versetzt fühlen, an den Anfang einer anderen Welt, auf die rote Erde, wo das Holz der Feigenbäume seinen süßen Atem verströmt. Als wüssten dort selbst die Bäume, dass Liebe eine Frage der Chemie ist, die stimmen muss, damit zwei zueinander finden.
1947 geboren, wird Maria Farantouri als sechzehnjährige Sängerin bei einem Chorkonzert von Mikis Theodorakis entdeckt. Er verheißt ihr: „Du wirst meine Priesterin“ – der Beginn einer bis heute andauernden künstlerischen und freundschaftlichen Beziehung. Ihre solistische Laufbahn an seiner Seite beginnt mit dem „Mauthausen-Zyklus“. Weitere Werke, vor allem Vertonungen von Texten berühmter griechischer Dichter wie Elytis, Seferis, Kalvos und Ritsos, sowie internationaler Poeten wie Pablo Neruda („Canto General“) und Federico Garcia Lorca („Romancero Gitano“) folgen. Seit dieser Zeit gilt sie als die ideale, weil authentischste Interpretin der Werke und Lieder von Mikis Theodorakis.
1967, mit dem Beginn der griechischen Militärherrschaft, verlässt Maria Griechenland demonstrativ. Sie geht erst nach Paris und reist dann von dort aus um die Erde, um auf das Schicksal ihres Heimatlandes aufmerksam zu machen und zugleich ein Zeichen des Protests zu setzen. Über BBC und Deutsche Welle werden ihre Konzerte auch in Griechenland gehört, wo die diktatorischen Obristen Theodorakis' Musik verboten haben. Maria wird eine Symbolfigur des Widerstandes und für Demokratie. Seit jener Zeit ist die äußerst dramatische Ausdruckskraft ihrer vollen, melodiösen Kontra-Alt-Stimme einem großen Publikum bekannt.
1974, nach dem Fall der Junta, kehrt Maria nach Griechenland zurück. Eine neue künstlerische Epoche beginnt. Mit „Protestsongs aus aller Welt“ erweitert sie ihr Repertoire und die Veröffentlichung als Album wird ein großer Erfolg. Sie nimmt die antirassistischen „Negrischen Lieder“ des griechischen Liedermachers Manos Loizos auf, arbeitet mit der Filmkomponistin Eleni Karaindrou zusammen und veröffentlicht ein Album mit Brecht-Liedern, mit denen sie auch im „Berliner Ensemble“ gastiert. Neben der Zusammenarbeit mit Theodorakis bietet sich ihr 1976 die Gelegenheit, mit einem anderen großen griechischen Komponisten zusammenzuarbeiten: Manos Chatzidakis. Bis zu seinem Tod 1994 entstehen vier gemeinsame Alben. Und auch Vangelis Papathanassiou schreibt mehrere Lieder nur für sie.
Kooperationen mit internationalen Künstlern wie dem englischen Musiker John Williams, mit dem sie im Exil in London zusammenarbeitete, dem türkischen Komponisten Zülfü Livaneli und dem Kubaner Leo Brouwer erweitern ihren musikalischen Horizont.
Es folgen gemeinsame Auftritte u.a. mit der argentinischen Sängerin Mercedes Sosa, der spanischen Sängerin Maria del Mar Bonet, der Deutsch-Amerikanerin Jocelyn B. Smith, der Italienerin Milva, sowie deren Landsmann Lucio Dalla, dem Deutschen Klaus Hoffmann und dem Holländer Hermann van Veen.
Nach der Geburt ihres Sohnes und aufgrund ihres politischen Engagements (von 1989 bis 1994 war sie Parlamentsabgeordnete der PASOK-Partei unter Andreas Papandreou) wird es um die Sängerin Maria Farantouri etwas stiller, bis sie aus eigenem Antrieb zu ihrer musikalischen Passion zurückfindet. Die unermüdliche Arbeit an sich selbst lässt ihre Stimme erneut aufblühen und jene frühere Qualität zurückerlangen, als habe zwischen zwei Tagen eben nur eine Nacht gelegen. Mit neuem Selbstbewusstsein beschreitet sie seitdem ihren ganz eigenen künstlerischen Pfad, immer auf der Suche nach Liedern, die ihrer Intention entsprechen und durch die sie sich selbst singend verwirklichen kann.
So entsteht 1995 eine CD mit Liedern von Lucio Dalla und 1996 die CD „Poetica“ mit neuen Liedern, deren Melodien Mikis Theodorakis auf Texte des modernen griechischen Lyrikers Dionyssios Karantzas geschrieben hatte. Die zwei Jahre später erschienenen Alben „Asmata“ und „Serenates“ nehmen diesen lyrischen Faden auf und führen ihn weiter. Der im Jahr 2000 zusammen mit Rainer Kirchmann aufgenommene „Sun & Time“-Zyklus von Mikis Theodorakis setzt die Reihe von Koproduktionen mit internationalen Künstlern fort.
Auch live ist Maria wieder zu bewundern. Zu den Höhepunkten zählt die Aufführung von Theodorakis' „Mauthausen“-Zyklus im Athener Herodes Attikus Theater mit dem Israel Symphony Orchestra unter Zubin Metha 1991, sowie ein Konzert im Washingtoner Holocaust-Memorial 1999. Weitere Konzerttourneen führen sie durch ganz Europa und die USA, nach Kanada und Australien.
Dabei schlägt sie in ihrem Repertoire den Bogen von der (modernen) Klassik über Jazz bis hin zur griechischen Musiktradition: Neben den mittlerweile zu Klassikern gewordenen Liedern von Theodorakis sind auch demotische, Rembetiko- und Insellieder, sowie byzantinische Hymnen in ihren Konzerten zu hören, oft modern arrangiert und instrumentalisiert. Dabei gelingt es ihr, auch das nicht griechisch-sprechende Publikum mit der Kraft und Anmut ihrer einzigartigen Stimme, mit Charme, Gefühlstiefe und Humor zu begeistern, wodurch sich ein sehr lebendiger und warmherziger Kontakt zwischen der Künstlerin und ihren Hörern über die vielen Jahre hinweg erhalten hat.
Kein Wunder also, dass einem Maria leicht wie ein erdverbundener Stern erscheinen mag. Und wenn sie singt, kann man das Aroma der Blüten eines ganzen griechischen Jahres atmen.
Autorin: Ina Kutulas | Quelle: de.mikis-theodorakis.net