Jannis Ritsos - Hommage zum 100. Geburtstag
Mit einem ganz besonderen Konzert soll der Geburtstag des griechischen Dichters Jannis Ritsos gefeiert werden, der am 1. Mai 2009 hundert geworden wäre.
Zwei Sänger-Persönlichkeiten, deren Karriere sich vor allem darauf gründet, dass sie das Griechentum bis heute repräsentieren,
Maria Farantouri und George Dalaras,
werden am Freitag, den 26. Juni, in der Berliner Philharmonie auftreten, um die legendären Werke „Epitaphios“, „Romiosini“ und „18 kleine Lieder der bitteren Heimat“ zu singen.
Diese von Jannis Ritsos geschriebenen und von Mikis Theodorakis vertonten Zyklen waren dem griechischen Volk emotionaler Halt und geistiger Lichtblick in Zeiten, da Willkür regierte in dem Land, das noch heute als die Wiege der europäischen Kultur gilt.
Tiefe Heimatliebe veranlasste sowohl Ritsos als auch Theodorakis, künstlerische Werke von solcher Ausstrahlungskraft zu schaffen, dass sich besonders während der Diktatur der Fokus der Weltöffentlichkeit auf Griechenland richtete. Dass hier eine Nation um ihre Identität und um die Wiedererringung der Demokratie kämpfte, das bezeugten wie wohl kaum etwas anderes Lieder wie „Griechentum“. Nicht ohne Grund war es verboten, sie zu singen. Weshalb Griechenland sie sang, wann und wo immer möglich – in Kellern, in Wäldern, in den Bergen, draußen auf See, in Schlafzimmern, an Orten also, wo der Mensch fast ganz allein mit sich ist. Und am Rande der Welt. Diese Musik widerstand. Der Bürgerkrieg hatte geendet.
Die Diktatur war abgeschafft. Die Musik, die Dichtung blieben.
Ritsos mit seinen Texten, Theodorakis mit seinen Kompositionen – sie hatten einen visionären Raum der Klärung geschaffen, mitten in einer verkomplizierten, verstrickten Welt, einen Widerpart gegen aufoktruierte Mächte. Die Ordnung von Versmaß und Notenschrift hielten dem Chaos der Seele stand. Sie stärkten die Fähigkeit zu schweigen, um vor dem Verstummen zu bewahren. Und sie stärkten die Stimmen des Aufbegehrens, um sie vor dem Verschweigen zu bewahren. Welcher offene, fortschrittliche Geist in der Welt nahm nicht wahr, was in Griechenland vor sich ging?
Theodorakis’ Lieder waren bekannt, wurden gesungen, Ritsos’ Texte wurden übersetzt, gelesen, manche Melodien, Verse wusste man bald auswendig. „Sag Himmel, auch wenn keiner ist.“ Für viele Autoren in Deutschland gehört Ritsos’ Dichtung noch heute zu ihrem „inneren Vorrat“, modern, inspirierend, geeignet, sich der Welt zu erinnern, in der zu leben man sich gut vorstellen kann. „Ich betrete einen marmornen Tempel, immer, wenn ich deinen Namen ausspreche - Griechenland.“
Ritsos, ein beinah schmächtig wirkender Mann, mit rötlich blondem Haar, ordentlich gekämmt, in hellem Anzug und sandfarbenen Halbstiefeln - pausenlos rauchte er, zeichnete die Lineatur von Steinen nach, wenn er nicht schrieb, zeichnete auf Packpapier, auf Wurzeln, auf Knochen, auf Streichholzschachteln, schuf eine eigene sinnliche Welt. Angefangen hatte er damit während der Haft auf den Verbannungsinseln. 2005 präsentierte das Athener Benaki-Museum eine Ausstellung, in der neben zahlreichen Ritsos-Buchausgaben aus aller Welt auch Bleistift-Studien des Künstlers zu sehen waren, Porträts von Mithäftlingen, genau beobachtet. Sie strahlten vor allem eines aus – die Stille, die Jannis Ritsos eigen war, es sei denn, er sprach über Poesie. Was er dann sagte, war immer druckreif, wohldurchdacht. Ungern brachte Ritsos seine Zeit mit langen Unterhaltungen zu, es sei denn, es ging um Literatur.
Es ist erstaunlich, dass jemand, der auf das gut überlegte Wort beharrte und immer wieder das Schweigen einforderte, dass gerade er in seinen Werken solch eine gefühlvolle Hingabe sprechen lassen konnte, und Hunderttausende das, was sie nicht zu sagen vermochten, genau darin ausgedrückt fanden. Immer wieder. Drei Epochen, in denen über Tod oder Weiterleben von Menschen nicht diese selbst, sondern andere entschieden – beim Streik der Tabakarbeiter in Thessaloniki (193...) oder während der Okkupation Athens durch die deutschen Besatzer (194...) oder während der Jahre der Diktatur in Griechenland (1967 bis 1974). Ritsos dokumentierte auf seine Art, und es las sich so, als sei die erste Überlebensregel: daran zu glauben, dass jeder politisch motivierte Mord zu verhindern sei. Denn immer war es doch ein Mensch, nackt geboren wie jeder, der einem anderen, ebenfalls nackt geborenen Menschen das Leben nahm. Zu verhindern, würde der Mensch sich darauf besinnen, dass alle gleich sind. Vor Gott. Vor Gericht. Vor einem Tier.
War es bei jemandem wie Ritsos, der eher zurückgezogen lebte, seltsam, dass gerade seine Worte derart populär wurden, so gab es auch im Leben von Theodorakis etwas nicht minder Seltsames. In London und Paris feiert er Triumphe, ist er der junge erfolgreiche, von der Kritik hoch gelobte Komponist, steht er auf der Bühne und dirigiert sein Antigone-Ballett in Covent Garden, da wendet er sich jäh ab vom applaudierenden Publikum und kehrt zurück nach Athen. Grund dafür war ist ein einziger Tanz, eine Melodie aus Kreta, die der Künstler in seine Ballettkomposition eingebaut hatte und die für ihn mehr als die anderen Teile Gültigkeit besitzt. Theodorakis ist überzeugt davon, dass sich auf diesen Tanz der Erfolg des ganzen Ballettwerks gründet, und noch mehr ist er sich sicher, dass dieser Tanz ihn zu etwas hingeführt hat, das für ihn als jungen, bisher westeuropäischen Komponisten von nun an das Wesentlichste sein wird: die Auseinandersetzung mit der Musik Griechenlands, mit der byzantinischen, der laizistischen und der Rebetiko-Musik. Er, der soeben noch für Sinfonieorchester schrieb, nimmt sich plötzlich den Epitaph von Jannis Ritsos vor und lässt diesen von einem Bouzoukispieler interpretieren, von einem, den man in einer Haschischkneipe vermutet hätte, niemals jedoch in einem Konzertsaal. Der Prophet kommt zum Berg. Und der Berg erstarrte.
In Griechenland löste das, was Theodorakis gewagt hatte, einen kulturellen Krieg aus. Das Orchester warf den Sänger Bithikotsis mit seinem Bouzouki aus dem Konzertsaal. Die Musiker weigerten sich, mit ihm zusammen zu proben. Ein paar Wochen später war Bithikotsis der Gott des Epitaphios, und selbst der zunächst skeptische Ritsos davon überzeugt, dass seine von Theodorakis vertonte Dichtung das Bouzouki geradezu verlangte. Es bahnte den Versen den direkten Weg in jedes Haus Griechenlands. Niemand, der sie nicht kannte. Das Gebirge kam zum Propheten. Es war, als hätte Theodorakis in einem Moment größter Hellsichtigkeit voraus gewusst, dass gerade diese Lieder schon wenige Jahre später wieder gebraucht würden, in genau dieser idealen Einfachheit, die es möglich machte, dass sie während der Zeit der Diktatur zum Widerstand gegen diese taugten. „18 kleine Lieder der bitteren Heimat“ und das Werk „Romiosini“ kamen hinzu.
Beide, Ritsos und Theodorakis, hatten allerdings auch nach der Diktatur noch oft zu kämpfen mit Anfeindungen und Ausgrenzung, mit Missgunst und Kleingeist, die fast proportional wuchsen zum riesigen musikalischen Werk des einen und zum umfangreichen literarischen Werk des anderen Künstlers. Was nur umso mehr dafür spricht, wie sehr beide in der Realität des Alltags verwurzelt waren und sich dieser stellten. Wie gesagt: die Musik, die Dichtung blieben. Ungeheure Ermutigung ging davon aus. Auf Verbote folgten das Ende von Diktaturen,
die stete Auseinandersetzung, vor allem mit sich selbst.
Was Jannis Ritsos betrifft, so wurde immer wieder betont, dass er in keinem teuren Wohnviertel lebte, sondern da, wo die Kinder nebenan auf dem Schulhof lärmten. Und dass überall in seiner Wohnung sich Bücher türmten und bemalte Steine lagen. Es war fast unmöglich, dort Staub zu wischen. Im winzigen Badezimmer des Jannis Ritsos hing ein roter Bademantel. Den nahm er sommers mit ans Meer, wo er immer wieder die blaue Frau sah und sich mit ihr vereinigte. In seiner Dichtung enthüllte sich der Dichter, in seinen Versen, die so gegenwärtig sind wie die Himmelsfarbe in der Farbe des Wassers.
Hundert Jahre nach der Geburt von Jannis Ritsos will man das noch wahr haben.
(Aus einem Text von: Ina und Asteris Koutoulas, Februar 2009)
|